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Fräulein Agnes

 

Jeden Sonntag, kurz vor drei, setzte Agnes sich auf die mittlere Bank am See. Immer Punkt drei schaltete sie ihren Kassettenrekorder ein und spielte für eine Stunde Tanzmusik ab. Um kurz nach vier stand sie wieder auf und ging nach Hause. Immer kaufte sie ein Stück Bienenstich bei Heilmanns.

Niemand erinnerte sich mehr, wann Agnes angefangen hatte, sonntags im Park ihre Musik abzuspielen. Es musste lange her sein. Sie kam stets pünktlich und sonntäglich gekleidet. Nur wenn es regnete oder sehr kalt war, blieb sie zu Hause.

„Guten Tag, Fräulein Agnes“, grüßten sie die Spaziergänger „und, freuen sich die Fische wieder?“. Agnes lächelte und antwortete mit gleichbleibender Freundlichkeit „Die Fische kugeln sich nun mal nur zu dieser Musik. Ich mache sie glücklich“. „Ja“, sagten sie die Leute „das ist schön.

Wenn Fremde mit dabei waren, zogen sie die Brauen hoch oder neigten den Kopf schief. Sobald Agnes außer Hörweite war, sagten sie meistens so etwas wie „ist die verrückt“ oder „glaubt die das wirklich “ oder „was war das denn“ und die Einheimischen erklärten, dass Fräulein Agnes eine harmlose und etwas schrullige Person wäre, die sonntags den Fischen Tanzmusik vorspielte, damit sie sich kugelten.

Das reichte meist als Erklärung. Nur wenige waren besorgt, ob es Agnes sonst gut ginge oder sie irgendjemandem etwas antun würde, aber das hielt nicht lange an und wenn sie wieder zu Besuch kamen, und Agnes den Fischen Tanzmusik vorspielte, fragten sie selbst oft, wie es denn heute liefe und Agnes erklärte mit heiterer Ruhe ein ums andere Mal, dass die Fische sich nur zu dieser Musik kugelten und es ihnen Freude machte.

Niemand konnte sich erinnern, ob sie jemals jemand gefragt hätte, wie sie auf die Idee gekommen wäre und warum sie das machte. Unter der Woche sah man sie manchmal beim Einkaufen und auch beim Spazierengehen, doch dann nicht im Stadtpark. Man grüßte sie und sie grüßte zurück. Niemand wusste, ob sie Verwandtschaft hatte oder wie alt sie war, woher sie ihr Geld bekam und mit wem sie bekannt war. Sie war einfach da.

Eines Sonntags setzte sich, ohne zu fragen, ein Mann zu ihr auf die Bank. Anges nickte und blickte wieder auf den See. Nach einer Weile fragte der Mann „Mögen Sie die Musik im Park?“ und Agnes erklärte freundlich wie immer, dass sie den Fischen eine Freude bereitete und sie mit Tanzmusik zum Kugeln animierte. Der Mann sah sie an, schüttelte den Kopf und sagt bestimmt „Gute Frau, in dem dreckigen Tümpel leben schon lange keine Fische mehr.“. Agnes erbleichte, schaltete die Musik aus und ging nach Hause. Nach drei Tagen fand die Nachbarin sie tot in ihrer Wohnung.

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